Die Onlinefliegerei ist fast so alt wie die Geschichte der Flugsimulation. Trotzdem hat es über zwei Jahrzehnte gedauert, bis unser Redakteur Jens Leuteritz den Schritt gewagt hat, bei einem der Netzwerke – VATSIM – hereinzuschnuppern. Warum er seit dem ersten Flug nie wieder ohne unterwegs sein will, könnt ihr jetzt in seinem Erlebnisbericht nachlesen.

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Auslöser für den Einstieg bei VATSIM

Am Anfang meiner Flugsimulatorkarriere stand der FS2002, wenig komplexes Fluggerät sowie in erster Linie wenig Ahnung von all dem, was in der Luft so vor sich geht. Seit bestimmt 10 Jahren hatte ich aber doch vor, die Onlinefliegerei irgendwann mal auszuprobieren. Es gab viele Gründe es zu verschieben: schlechter PC, schlechtes Headset, schlechter Ruf der entsprechenden Portale, scheinbar hohe Zugangshürden sowie die Angst, dabei etwas falsch zu machen.

Vor zwei Monaten musste – eigentlich um FS2Crew per Spracherkennung nutzen zu können – ein neues Headset her. Und weil ich Gefallen fand an gesprochenen Anweisungen und dem positiven Feedback des virtuellen Copiloten, knöpfte ich mir noch einmal VATSIM vor. Einen Account dort hatte ich schon mehrere Jahre, ohne auch nur eine einzige Stunde geflogen zu sein.

Noch mehr als die reine Neugier aus technischer Sicht ermunterten mich aber die Videos von Evert Rinkel auf seinem Youtube-Kanal Aviationpro. Evert hat eine ganze Reihe sehr aktuell gehaltener Tutorials für Onlineflug-Einsteiger gedreht und mir dadurch wissenstechnisch ein Tor in diese unbekannte Welt geöffnet. Zwar sind seine Live-Onlineflüge vielleicht nicht unbedingt in voller Länge sehenswert, bieten aber doch sehr viele wertvolle Tipps zum gesamten Themengebiet.

Skepsis

Skepsis war zunächst trotzdem angesagt. Ist die technische Verknüpfung zum VATSIM-Netzwerk schwierig? Muss ich irgendwelche Prüfungen ablegen, um überhaupt mitmachen zu können? Fliegen da nur elitäre Aviatik-Nerds, die klingen wollen wie echte Piloten und mich als Anfänger vom Server jagen? Gibt es überhaupt genug Fluglotsen, damit es spannend wird? Die Antworten sind: nein, nein, nein und ja. Doch dazu gleich mehr.

Der erste Flug

Nach etwas Recherche kam die Einsicht schnell: Eigentlich brauche ich nur einen Flugsimulator, ein Mikrofon, ein bisschen Freeware und unbedingt die Lust, dazuzulernen und mich ein bisschen in etwas einzuarbeiten. Also habe ich mir vor ein paar Wochen VatSpy geholt, ein praktisches Tool, bei dem man sehen kann, wer gerade wo auf der Welt online fliegt oder Flugzeuge lotst. Dort habe ich das Geschehen erst mal ein paar Abende beobachtet und schnell festgestellt, dass in meinem Zielfluggebiet Nordeuropa eigentlich irgendwie immer Lotsenstationen besetzt sind. Also habe ich mir auch Vpilot heruntergeladen, der eigentliche Schlüssel ins Netzwerk, welcher das eigene Fluggerät in die große weite Welt des Onlinenetzwerkes katapultiert.

Und so stand ich nun am Gate in Oslo-Gardermoen, um mich herum eine überschaubare Anzahl von Flugzeugen; ich wechselte auf die Frequenz des Towers und siehe da: Leben! Das gesprochene Wort von mir völlig unbekannten Menschen an einem mir unbekannten Ort – da packte mich die Faszination und ich verbrachte ein paar Abende erstmal nur damit, zuzuhören. Was machen die Lotsen da? Welchem Muster folgen die verschiedenen Befehle und Wiederholungen?

Parallel las ich auf der Vatsim-Website über Prozeduren, Gos und No-Gos beim Onflinefliegen. Licht kam ins Dunkel und ich begann das System ansatzweise zu verstehen. Ich erkannte wiederkehrende Phrasen, lernte regionale Unterschiede kennen und war von der ersten Sekunde gebannt vom professionellen Feeling, welches sich schon beim Zuhören einstellte.

Nie wieder ohne Online-ATC

Und dann, eines Tages, reichte ich einen Flugplan ein, machte den Flieger klar, legte die Frequenz ein und überwand die Angst, den Push-to-talk-button auf meinem Steuerhorn zu drücken, um für die Welt da draußen hörbar zu werden. „Norshuttle 949, Type Boeing 738 at Stand 42 with Information India, request IFR-Clearance to Ålesund.“ Die Antwort war bestechend präzise und zauberte mir ein Grinsen ins Gesicht: „Norshuttle 949, Gardermoen Tower, you are cleared to Destination Ålesund as filed, runway 01L on the EVTOG5A Departure, initial climb is 5000 feet, Squawk 5435, QNH 1023“ – Man hatte mich verstanden, was für ein Wahnsinn.

Blitzartig war mir klar, ich muss hinhören, ich kann die gegebenen Informationen nicht mehr im ATC-Menü sehen, sondern muss mitschreiben und verstehen. Das ist eine Herausforderung, die vielleicht abschreckend wirkt, die ich aber jedem nur empfehlen kann. Ich wiederholte brav, führte den Flug durch, erlebte bis dato nie dagewesene Überraschungen wie eine Warteschleife, Abkürzungen und einen spontanen Landebahnwechsel – und kam schließlich an.

Ich hatte meinen ersten Onlineflug sicher nicht mit Bravur gemeistert, habe Fehler gemacht und viele Anweisungen nicht ad hoc richtig verstanden. Aber für mich stand nach der Landung sofort fest: nie wieder ohne Online-ATC. Die immersive Wirkung ist einfach unbestechlich und die Unvorhersehbarkeit einiger Entscheidungen der Lotsen sind extrem fordernd und blasen eventuelle fliegerische Langeweile zum Beispiel im Reiseflug einfach weg.

Es gibt noch viel zu lernen und zu erfahren

Die Lernkurve geht indessen steil nach oben; ich lerne mein Lieblingflugzeug gerade neu kennen, entdecke Systemtiefen, die ich nie anwenden brauchte und erlebe Anflüge und Routen, die ich sonst nicht geflogen wäre. Es ist befreiend, Anweisungen nicht mehr mit einer Taste zu bestätigen, sondern einfach selbst zu wiederholen. Und tatsächlich muss ich endlich auch mal anderen Fliegern auf dem Platz Vorfahrt gewähren oder nicht vom absoluten Ende der Landebahn, sondern schon von einer Intersection vorher beschleunigen und folglich meine Startgeschwindigkeiten überdenken und neu berechnen.

Ich bin noch lange nicht fit für große Events, bei denen interessante Flughäfen teilweise regelrecht überflutet werden und es schnell eng werden kann im Anflug und auf dem Platz. Aber ich habe eine Ahnung davon bekommen, wie viel noch möglich ist in unserem Hobby und wie viel es noch zu lernen und zu erfahren gibt. Eine Erkenntnis, zu der ich schon lange nicht mehr gekommen bin und die mich nun mit einer lange nicht dagewesenen Vorfreude meinen nächsten Onlineflug erwarten lässt.

Seit diesem ersten Flug sind ein paar Wochen und viele weitere Starts und Landungen in der Onlinewelt vergangen. Die erste Euphorie, aus der die Zeilen zum ersten Flug oben entstanden, ist nicht gewichen – im Gegenteil, sie befeuert mich jedes Mal wieder. Einzig das Fliegen, Zuhören und Sprechen ist entspannter geworden, weil ich nun ein besseres Verständnis davon habe, welche Anweisungen zu welchem Zeitpunkt ich zu hören erwarte.

Nachteile

Natürlich ist die Online-Fliegerei genausowenig die heile Welt, wie es die Luftfahrtbranche in der Realität ist. Onlinepiloten und -lotsen sind einfach normale Menschen. Und Menschen machen Fehler, hören nicht richtig zu, vergessen einen auf das nächste Flightlevel freizugeben oder wiederholen Anweisungen falsch. Wir sind keine Profis, wir sind Ambitionierte und wir wollen es einfach so gut wie möglich machen.

Ein Problem bei VATSIM ist die zum Teil schlechte Audioqualität, was einerseits an der Übertragung des „Funks“ über Netzwerke liegt, andererseits an der Qualität und der Handhabung von Mikrofonen und Headsets. Ich habe auch schon Anweisungen schriftlich angefordert, weil mein ATC-Gegenüber einfach nicht zu verstehen war.

Abgesehen davon darf man beim Onlinefliegen nicht erwarten, dass jeder Wunschflughafen zu der jeweils favorisierten Zeit aktiv besetzt ist. Ich suche meine Ziele und Startplätze mittlerweile nach ATC-Abdeckung aus und schaue dafür auf die Boards der VATSIM-Divisionen der spezifischen Länder, auf denen die Lotsen ihre Zeiten bekanntgeben. Dann kann man sich fast immer auch darauf verlassen, dass die Positionen für den angegebenen Zeitraum online sind.

Schränkt mich das in meiner Destinationswahl ein? Nein, im Gegenteil, ich entdecke neue Reiseziele, weil heute Abend meine Standardplätze mal nicht online sind, sondern beispielsweise nur das westliche Mittelmeer – also hin dort und Barcelona anfliegen und versuchen, mit dem dortigen Dialektenglisch klarzukommen.

Schlussgedanken

Die Natur unseres gemeinsamen Hobbys ist oft die, dass wir es allein ausüben. Der Gedanke, sich mit anderen Enthusiasten zu vernetzen, ist ja nicht neu und wird in unzähligen Foren zur Flugsimulation bereits seit erstaunlich langer Zeit gelebt. Die Onlinefliegerei jedoch trägt auf eine ganz eigene Art und Weise zur virtuellen Völkerverständigung bei. In den Funkphrasen geht es nicht um Vor- oder Nachteile von Produkten einschließlich der verschiedenen Flugsimulatoren. Auch nicht um die Skepsis vor dem Fremden oder Aversionen gegen Teilnehmer aus unterschiedlichsten Kulturkreisen.

Es geht einfach nur um das fachliche und sachliche Ausleben einer Passion. Und gemeinsam erlebt heißt in diesem Fall wirklich gemeinsam entwickelt und ausgeführt. So und nicht anders habe ich das Onlinefliegen schätzen gelernt und möchte es als Teil meiner persönlichen immersiven Atmosphäre nicht mehr missen. Ich lade euch alle ein, es mal auszuprobieren, es wird euch in jedem Fall positiv bereichern.


Über VATSIM

VATSIM ist mit ungefähr 80.000 Mitgliedern neben IVAO das größte virtuelle Flugverkehrnetzwerk und als sogenannte Non-profit Organisation eingestuft. Gerade die Sektion der Fluglotsen ist stark durchorganisert und teilt sich in viele sogenannte Divisionen ein, die sich eine kleinteilige Abstimmung und die Simulation regionaler Besonderheiten auf die Fahne geschrieben haben. Als Pilot ist man weniger strukturgebunden, aber auch hier gibt es beispielsweise Mentorprogramme und Trainingskurse, um den Einstieg ins Netzwerk sowie die stetige Professionalisierung zu fördern

Autor

Mein Name ist Jens Leuteritz und ich bin seit Anfang 2015 bei flusinews.de dabei. Meine Flugsimulatorlaufbahn teilt sich in zwei Abschnitte auf: Als Jugendlicher fesselten mich vor allem der FS2002 und der FS9, und nach etlichen Jahren fliegerischer Abstinenz stieg ich dann 2014 mit dem FSX und zahlreichen Add-Ons wieder voll ins „Geschäft" ein. Die Fülle an Szenerien und professionellen Fliegern, aber auch die riesige Community reizten mich, die Erfahrungen anderer Nutzer nicht nur zu konsumieren, sondern selbst mit Tests und Reviews zum Auskommen der Szene beizutragen. Um meine Brötchen zu verdienen, arbeite ich nach dem Studium mittlerweile als Fahrdienstleiter bei der DB Netz AG und gebe, wie es im Jobportal heißt, „Zügen Regieanweisungen“. Im Flightsimulator reizen mich vor allem die Landschaftsdarstellungen der nördlichen Hemisphäre, die ich immer wieder mit großen und kleinen Fliegern unter die Lupe nehme. Von hochdetaillierten Airlinern und virtuellen Airlines habe ich mich mittlerweile aufgrund der schwachen Performancestruktur des FSX distanziert und bin nun fast nur noch als GA unterwegs.

Bisher 10 Kommentare

  1. Ich finde es mittlerweile auch relativ zeitlos, ohnr Vatsim zu fliegen. Bezüglich der Audioqualität ist vielleicht noch erwähnenswert, dass die Voice Codecs gerade überarbeitet werden. Eine große Betatestrunde gab es schon, mit einer Verbesserung ist also in nächster Zeit zu rechnen.

    • Jens Leuteritz Antworten

      Hi Nicolaus,
      das habe ich auch schon gehört. Weißt du zufällig wie die Betatests ausgefallen sind und wie signifikant die Verbesserungen in der Audioqualität sein werden?

  2. Danke, sehr schöner Artikel. Ich will auch schon seit 10 Jahren mal online fliegen aber raffe mich dazu einfach nicht auf. Vielleicht ringe ich mich durch Deinen Artikel jetzt doch einmal dazu durch:).

  3. Herzlich Willkommen bei VATSIM. Sehr schöner Artikel. Als Alternative zu VAT-Spy kann ich dir noch Qutescoop empfehlen. Zum neuen Audio-Codec: Die Tests laufen immer mal wieder und die Qualität ist beachtlich besser geworden. Weiterhin viel Spaß.

  4. Ralf F. aus B. Antworten

    Nachdem ich jahrelang, wirklich intensiv, bei IVAO geflogen war, habe ich VATSIM auch mehrmals in den letzten Jahren probiert. Es ist technisch deutlich besser als IVAO, aber mit fehlt da leider der Spaß der Missionen und die „Badges“ für erfolgreich absolvierte Touren. Meine abgelegten Pilotenprüfungen von IVAO haben bei VATSIM niemanden interessiert…
    Wer nie bei IVAO war, für den ist VATSIM einfach toll. Ich persönlich habe mein VATSIM Fliegen aber aus „Spaßmangel“ wieder beendet.
    Schade das IVAO es seit mittlerweile Jahren nicht fertig bringt, aktuelle Software zur Verfügung zu stellen.

  5. Ein sehr schöner Artikel, in dem ich mich gut wiedererkenne. Seit ich Mitte Juni dieses Jahres komplett zum X-Plane gewechselt bin, habe ich auch mit dem Onlinefliegen angefangen. Ich nutze IVAO und bin sehr zufrieden, vor allem im südeuropäischen Raum ist eigentlich immer viel los. VATSIM schreckt mich ob des schlechten Codes ab, aber da scheint ja Besserung in Sicht. Insofern werde ich dort auch aufschlagen, wenn die Qualität stimmt.

    Ob ich wieder mal offline fliegen will? Höchstens noch zum Testen neuer Flugzeuge, ansonsten bin ich nur noch wie der Autor online zu finden. Auch wenn kein Lotse da ist, wähle ich mich trotzdem ein, weil es insbesondere auf längeren Flügen durchaus sein kann, dass ATC dazukommt.

  6. Bei mit wars ähnlich: Ich habe mich im Jahr 2007 bei IVAO angemeldet und seit ca. 2013 bin ich in der Tat aktiv.
    Onlinefliegen macht Spaß, ebenso das Lotsen, eben weil nich jeder Flug gleich ist.
    Warum ich so lange gezögert hatte, wirklich aktiv zu werden?
    Das hatte drei Gründe: Zum Ersten natürlich Schiss, zum Zweiten hat mich gestört, dass manche Piloten mit Standardszenerie fliegen und sie demnach irgendwo im Terminal parken, zwischen zwei Taxiways rollen usw. und Drittens wollte ich nicht ununterbrochen vorm PC sitzen, wenn ich Enroute bin. Dazu gleich mehr…

    Beim Fliegen hat man nachmittags und abends unter der Woche und am Wochenende auch schon um die Mittagszeit einige Lotsen online. Wenn ich beispielsweise von Salzburg nach Griechenland fliege, in Österreich und Griechenland Lotsen online sind, aber z.B. über Serbien nicht, dann schaue ich in dem Gebiet ohne ATC einfach alle 5 bis 10 Minuten auf webeye.ivao.aero, ob demnächst Verkehr auf meiner Höhe sein wird. Falls ja, dann steige ich um 2000ft und falls ich auf meiner Route in 15 Minuten einen Lotsen habe, dann kann ich noch gemütlich Wäsche zusammenlegen und melde mich bei dem Lotsen, bevor ich in seinen Luftraum einfliege.

    Es ist also nicht nötig, dauernd vorm PC zu sitzen, nur muss man immer wieder mal aufs Webeye schauen, um zu sehen, ob ich bald durch kontrollierten Luftraum fliege (Grüße gehen raus an BES100 😉 ) oder mir andere Piloten in die Quere kommen.

    Ein Problem auf IVAO ist die ausufernde Bürokratie und veraltete Software durch (ich nenns jetzt mal…) „Machtkämpfe“ oder persönliche Befindlichkeiten. Während mit dem IVAC 2 eine Lotsensoftware existiert, die enorm Spaß macht und in einigen Ländern sehr weit verbreitet ist, sind Prüfungen und Trainings für Lotsen nur mit dem steinalten IVAC 1 zulässig. Als Begründung dienen Aussagen wie „T2 does not update the software anymore“.
    Während der IVAC 2 aus dem Jahr 2018 stammt, wurde der IVAC 1 das letzte mal 2012 geupdated.

    Und dann stellen sich Leute hin und behaupten ernsthaft, dass man IVAC 2 nicht verwenden könne, weil die Software nichtmehr aktualisiert wird 😀

    Ich wünsche allen VATSIMmern, dass VATSIM bei solchen Thematiken nicht so stümperhaft agiert wie IVAO 🙂

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